Dies ist eine Replik auf Jens Starks Artikel: 7 Gründe gegen Open Source Software, vom 27. Februar 2014.
Vorwort
Ich kann gut nachvollziehen, sich einem Krieg der Ideologien entziehen zu wollen. Es ist löblich, die Stimme der praktischen Vernunft in einem ideologisch dominierten Feld sein zu wollen. Ich schätze diese Motivation. Dennoch finde ich Jens Starks Artikel schmerzhaft oberflächlich. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, was ihn wohl dazu bewegt haben mag, bei seinen Szenarien immer dann in der Gedankenkette aufzuhören, wenn gerade eine Idee gegen Freie Software zu sprechen scheint. Wenn er seine Gedanken weiterführen würde, hätte er ebenso gut die gegenteilige Aussage treffen können. Wieso hat er das also nicht getan? Ich weiß es nicht, aber ich möchte zumindest beschreiben, warum ich seiner Schlussfolgerung nicht zustimmen kann, dass er 7 Gründe gefunden hätte, die gegen Open Source Software sprechen.
Auch wenn manche das vielleicht als Hinweis auf eine starke ideologische Verblendung meinerseits sehen, werde ich im Folgenden Freie Software statt Open Source Software schreiben, da Jens Kritik vor allem auch deswegen zu kurz greift, weil sie die aus meiner Sicht essenzielle politische Komponente der Freie Software Bewegung übergeht. Viele Menschen, die sich auf Open Source beziehen, vernachlässigen die Bedeutung unserer Unabhängigkeit auf gesellschaftlicher Ebene völlig. Dies ist für mich Anlass, auf der Bezeichnung Freie Software zu beharren. Freie Software mag in der Praxis oft identisch mit Open Source Software sein, aber die verschiedenen Begriffe weisen auf unterschiedliche Motivationen hin.
1) Proprietäre Software ist einfacher für ungeübte Anwender?
Jede Softwareumstellung ist mühsam. Es spielt keine Rolle, ob von einer älteren auf eine neue Version oder auf eine komplett neue Software umgestiegen wird. Das hat nichts mit der Frage zu tun, welche Software einfacher ist.
Jenst Stark stellt treffend fest, dass für den Desktop-Einsatz nicht relevant ist, welche Software auf Servern läuft. (Wie einfach Netzwerke zu administrieren sind, sollte Leuten, die nur Arbeitsplätze benutzen, egal sein können.)
Ich bin zwar kein professioneller Administrator, aber ich habe immer wieder mit allen drei großen Betriebssystemen zu tun. Auch wenn es verlockend wäre, eines dieser Betriebssysteme als bedienungsfreundlicher herauszustreichen, so finde ich bisher keine überzeugende Grundlage dafür. Alle drei Systeme haben ihre Macken. Wo Windows völlig wirr und unlogisch wirkt, versteckt OSX die Komplexität schlicht. GNU/Linux ist dafür gelegentlich grafisch uneinheitlich präsentatiert, da Arbeitsabläufe oft über verschiedene, frei wählbare kleine Programme laufen, die auf anderen Systemen nur über fixe Einheitslösungen klappen.
Auf jeden Fall aber habe ich schon vielen Menschen bei Computerproblemen beigestanden und schon diverse Rechner neu eingerichtet. Meine Erfahrung ist durchwegs, dass Leute bei einem Umstieg auf irgendein anderes System ängstlich sind und sich beklagen, weil sie sich nicht immer unmittelbar zurecht finden, da manche Dinge anders funktionieren. Dabei spielt es in der Praxis keine Rolle, von welchem System auf welches andere System sie wechseln.
Zweifellos gibt es Freie Systeme, deren Qualitäten in Hinsicht auf Anpassungsfähigkeit, Ressourcenschonung oder kompromisslose Freiheit meist nur sehr Technik affine Leute schätzen können, aber meiner Erfahrung nach haben nicht so versierte Leute beispielsweise mit dem Umstieg von einer älteren Windows-Version auf eine neuere oft sogar mehr Schwierigkeiten als mit einem Umstieg auf ein komplett freies System, das eben kein Spezialklientel bedient. Häufig ist allein der Umstieg von einer älteren MS-Office Version auf eine Neuere ein Desaster für die Betroffenen.
Ich bin allgemein kein Fan von Textverarbeitungsprogrammen, die sich an Microsoft Office orientieren, aber freie Alternativen wie Libre Office sind meiner Erfahrung nach in der Regel auch in aktuellen Versionen für Umsteigende nachvollziehbarer als die massiv veränderten neuen Versionen der Microsoft Produkte.
2) Die Macht der De-Facto-Standards spricht für proprietäre Software?
Zwischen verschiedenen Programm-Versionen proprietärer Programme bestehen oft größere Kompatibilitätsprobleme als zwischen proprietären und freien Programmen.
Viele erwarten sich von proprietären Lösungen, dass zumindest alles in bester Ordnung ist, so lange sich niemand erdreistet, Alternativen zu den ursprünglich genutzten proprietären Programmen einzusetzen. Die Praxis zeigt allerdings ein anderes Bild, da die Unternehmen natürlich nicht nur einmal eine einzige Programmversion verkaufen wollen. Um sicherzustellen, dass Menschen, die ihre Produkte benützen, auch weiterhin Geld bei ihnen ausgeben, beinhalten neue Programmversionen nicht nur neue Funktionen, sondern auch die Dateiformate werden geändert. Neue Funktionen sind anscheinend für viele Menschen nicht genügend Anreiz zu neuen Ausgaben. Vor allem dann nicht, wenn auch die älteren Versionen bereits alle für sie relevanten Funktionen geboten haben.
Bei Versionskonflikten zeigt sich die Rücksichtslosigkeit proprietärer Erpressungslogik besonders deutlich: Nur wer laufend in aktualisierte Versionen investiert, darf erwarten, (vorübergehend) mit dem Rest der Welt einigermaßen zuverlässig Daten austauschen zu können. Oft ist die Änderung zwischen Programmversionen sogar so gravierend, dass ältere Dateien mit der aktuellen Software nicht mehr sinnvoll nutzbar sind. Da aber aktuelle Betriebssysteme ältere Programmversionen gar nicht mehr unterstützen, ist ein ständiges Aufrüsten unvermeidbar. (Wen interessieren schon ältere Daten?)
Auch bei Freier Software gibt es manchmal grundlegende Weiterentwicklungen, aber ältere Programmversionen funktionieren auch auf aktuellen Systemen noch sehr, sehr lange. Der konsequente Einsatz offener Standards stellt darüber hinaus sicher, dass ältere Dateien in jedem Fall noch sinnvoll interpretiert werden können.
Es gibt aber tatsächlich gelegentlich – meistens bei nicht so stark genutzten erweiterten Funktionen – Inkompatibilitäten zwischen proprietären Programmen und freien Alternativen. Diese Inkompatibilitäten aber als Argument gegen Freie Software auszulegen, ist in Anbetracht der Hintergründe ähnlich geisteskrank wie alle zu verachten, die ausgegrenzt werden, und gleichzeitig jene zu unterstützen, die versuchen, uns selbst auf diese Weise auszugrenzen.
Proprietäre Programme setzen streng geheim gehaltene Dateiformate ein. Die produzierenden Unternehmen, bemühen sich also darum niemandem zu verraten, wie ihre Dateien aufgebaut sind, damit sie Konkurrenz ausschließen können. Wenn sie nämlich zulassen würden, dass auch andere Softwareschmieden oder die Freie Software Bewegung ihre Dateiformate ungehindert unterstützen können, würden sie Konkurrenz ermöglichen. Damit könnten sie niemanden mehr zwingen, ausschließlich ihre eigene Software einzusetzen.
Genau genommen ist es also nicht so, dass die tollen proprietären Softwareschmieden großartige Produkte schaffen, die alle beliebigen Dateiformate unterstützen können, sondern es ist im Gegenteil so, dass proprietär Geschäftstreibende alles daran setzen, den freien Austausch von Daten zu verhindern. Sie können natürlich problemlos alle offenen Standards der Freien Software Bewegung unterstützen, aber sie verhindern gezielt, dass andere ihre eigenen Formate interpretieren können.
Wieso sollte irgend jemand bei Verstand ein Dateiformat bevorzugen, das ausschließlich von einer Instanz unterstützt wird, obwohl daneben offene Standards existieren, die den beliebigen Austausch der Daten zwischen unzähligen Programmen und Plattformen ermöglichen? Nur Ahnungslosigkeit kann solch eine Wahl begründen.
3) Proprietäre Software bietet besseren Support?
Selbst wer Support bezahlen möchte, bekommt ihn bei proprietärer Software oft nicht, da niemand einspringen darf, wenn es die wenigen nicht tun wollen, die das dürften. Freie Software können dagegen alle supporten, die sich die Mühe machen.
Mir ist nicht ganz klar, woher der Mythos stammt, dass proprietäre Software besseren Support bieten würde. Vermutlich gehen die meisten Menschen instinktiv davon aus, dass das Vorhandensein einer einzelnen herausgebenden Instanz die Einforderung von Ansprüchen leichter machen würde. Wer sich jemals die Mühe gemacht hat, vor der Installation auch tatsächlich aufmerksam zu lesen, was in den Vertragsbestimmungen steht, kann nicht länger daran glauben.
Darüber hinaus haben proprietäre Unternehmen in der Regel klare Geschäftsfelder. Wer die Software entwickelt, ist selten auch für Support verfügbar. Unabhängige Support-Unternehmen haben keinen Grund, proprietäre Lösungen zu bevorzugen. Genau genommen ist es auch für sie leichter, Freie Software zu supporten, da sie das ohne bindende Verschwiegenheitsverträge einfach tun können.
Die meisten Programme sind schon längst nicht mehr so trivial, dass sie einzelne Personen völlig durchschauen könnten. Ein tief reichender, umfassender Support braucht also in der Regel mehr als eine Person. Mit freien Programmen kennen sich in der Regel deutlich mehr Menschen aus, als mit jeder beliebigen proprietären Lösung, die sich ja immer nur wenige ausgewählte Leute überhaupt ansehen dürfen. Dem entsprechend ist schon rein statistisch die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, guten Support für Freie Software bekommen zu können.
Das Hauptproblem beim Support ist allerdings nicht die Frage, ob ein Programm frei oder proprietär ist, sondern ob es es Personen bzw. Institutionen gibt, die bereit sind, die zur Fehlersuche und Behebung nötige Arbeitszeit angemessen zu entlohnen.
Falls jene, die die entsprechende proprietäre Software herausgeben, kein Interesse am Support haben, ist schlicht kein Support verfügbar. Einer der großen Vorteile Freier Software ist dagegen der Umstand, dass einmal erarbeitete Beschreibungen öffentlich verfügbar gemacht werden können und frei weiter verwendbar sind. Das ermöglicht deutlich mehr Leuten, Hilfe zu leisten, da sich auf diesem Weg unvergleichlich viel mehr Dokumentation ansammelt, als für proprietäre Software. Es ist also garantiert leichter, Support für Freie Software Projekte zu finden.
4) Ist Software als Service das Selbe wie proprietäre Software?
Egal. Das spricht weder für noch gegen Freie Software.
Wer den Service nicht selbst hostet, muss anderen ebenso blind vertrauen, wie beim Einsatz proprietärer Software. Dieses Problem hat allerdings nichts mit der Frage zu tun, ob am Server proprietäre oder Freie Software eingesetzt wird. Dem entsprechend kann ich in dieser Feststellung kein Argument für oder gegen Freie Software erkennen.
Dieser Aspekt illustriert lediglich, wie wichtig Unabhängigkeit ist und dass es nicht zur Idee Freier Software passt, blind irgendwelchen Instanzen zu vertrauen. Der Interessenskonflikt ist vorprogrammiert, wo es um eine Abwägung zwischen Profitinteressen und Datenschutzerwägungen geht. Welches Unternehmen verzichtet tatsächlich auf Umsätze, nur um die Interessen anderer zu schützen? Rational denkende Menschen erwarten so etwas unter den gegebenen Rahmenbedingungen gar nicht erst.
5) Hat proprietäre Software bessere Hardware-Unterstützung?
Das hängt von der Hardware ab. Wer sich vorab informiert und bewusst einkauft, hat keine Schwierigkeiten.
Leider werden von mancher Hardware keine Spezifikationen veröffentlicht und die zur Unterstützung nötigen Schnittstellen-Informationen ausschließlich an ausgewählte proprietäre Softwareschmieden weitergegeben. In vielen anderen Fällen hat die Freie Software Gemeinde bessere Treiber zu Wege gebracht. Freie Software ist besonders bei älterer Hardware im Vorteil, da nützliche freie Treiber auch noch verbessert werden, wo proprietäre Geschäftskonzepte die Entwicklung eingestellt haben, weil kein ausreichender Profit mehr damit gemacht werden kann. Wer beispielsweise bereits einen zufriedenstellenden Drucker hat, wird sich freuen, nicht bei jedem Update einen Neuen kaufen zu müssen, bloß weil das neue System keine Treiber mehr dafür bietet.
Die Qualität proprietärer Treiber ist nicht immer sonderlich gut. Da die verwendete Hardware den Anforderungen angepasst sein sollte, kann schlechter Hardware-Support durch eine entsprechend sorgfältige Produktwahl aber in jedem Fall in den Griff bekommen werden.
Ich erlebe in meinem Umfeld bei vielen technisch weniger versierten Menschen die Tendenz, viel zu leistungsstarke/teure Hardware zu kaufen, die sie dann oft unvorteilhaft kombinieren und schlecht warten. Dem entsprechend beruhen die häufigsten Probleme auf schlechten Kombinationen, unvorteilhaften Konfigurationen und falscher Administration. Das sind Faktoren, die für proprietäre ebenso wie für Freie Software gelten.
Die größere Auswahl an aktueller Hardware, für die ausschließlich proprietäre Treiber existieren, entschädigt uns meiner Meinung nach nicht dafür, dass wir ohne offene Spezifikationen unmöglich wissen oder feststellen können, was genau mit unseren Daten passiert. Proprietäre Produkte dürfen sogar von Behörden meist nur sehr eingeschränkt überprüft werden. Wieso sollten wir blind nicht vertrauenswürdigen Instanzen vertrauen, wenn wir auch die Wahl haben, Produkte zu wählen, die garantiert keine für uns unvorteilhaften Prozesse ausführen, weil sie einer vollständigen öffentlichen Qualitätskontrolle ausgesetzt sind?
Ein Zusatzproblem, das im Grunde nichts mit Hardware-Support zu tun hat, sich aber ähnlich auswirkt, hat Windows 8 gebracht: Microsoft verlangt von allen, die Geräte mit diesem System vorinstalliert anbieten, dass sie SecureBoot unterstützen. Theoretisch schützt diese Technologie vor der Installation nicht autorisierter Software. Weil diese an sich vernünftige Idee aber meist auf eine Art umgesetzt ist, die es den meisten Menschen praktisch unmöglich macht das vorinstallierte Windows auf diesen Rechnern durch andere Systeme zu ersetzen, wirkt das wie eine technische Sperre aller Alternativen zum vorinstallierten System. Ich kann daher nur vom Kauf eines Rechners mit vorinstalliertem Windows 8 abraten.
6) Proprietäre Software bietet bessere Garantien, Haftung und Entschädigung?
Ob Absicherungen geboten werden, hängt nur von Verträgen ab. Ob Programme proprietär oder frei sind, spielt dabei keine Rolle.
Alle, die Software herstellen, versuchen, sich so gut wie nur irgendwie möglich vor Schadenersatzforderungen und ähnlichen Ansprüchen zu schützen. Ich habe noch keine Software angetroffen, in deren Lizenzvereinbarung auch nur annähernd die Eignung zur Erfüllung des offensichtlich geplanten Zwecks der Software versprochen wird. Zusätzlich stehen wirklich erstaunlich gewagte Verzichtserklärungen in diesen Verträgen. Viele davon sind offenbar – je nach national geltendem Recht – ohnehin hinfällig, aber alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, gilt.
Wer besondere Absicherungen haben will, muss entsprechende Verträge aushandeln. Es gibt keinen Grund, weshalb der Einsatz Freier Software solche Vereinbarungen erschweren würde. Ähnlich wie beim Support ist allerdings auch hier mit Freier Software der Pool von Personen mit ausreichender Expertise deutlich größer.
7) Sind Unternehmen beständiger, die proprietäre Software herstellen?
Wieso sollte das so sein?
Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Softwareschmieden, die proprietäre Software erzeugen, zuverlässiger weiter bestehen, als Freie Software Projekte. In beiden Fällen sind kleine, unbekannte Projekte weniger durch Personen und Ressourcen abgesichert als große, bekannte. Der einzige Unterschied liegt in dem Umstand, dass Freie Software von allen aufgegriffen und weiterentwickelt werden kann, die das tun wollen. Bei proprietären Produkten besteht das Zusatzrisiko, dass sich die involvierten Instanzen auf keine für alle zufriedenstellenden Übernahmebedingungen einigen können.
Fazit
Jens Stark wollte eine Liste von Nachteilen Freier Software präsentieren. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass er nur allgemeine Probleme unserer Informationstechnologie-Szene schildert, die auf proprietäre Software mindestens genauso zutreffen.
Nur sehr kurzfristig und oberflächlich betrachtet kann daher proprietäre Software als die bessere Wahl erscheinen. Abgesehen von der wesentlich größeren Vertrauenswürdigkeit durch die vollständige Offenlegung, ist Freie Software vor allem dort klar im Vorteil, wo langfristig zuverlässige Lösungen erwünscht sind, da sie auf offene Standards setzt, die auch dann noch zugänglich und interpretierbar sind, wenn sie sonst niemanden mehr interessieren.