rainer’s blog

Just another Fellow’s opinion…

Tschüss, Dieter!

Für mich war er der grösste, der sprachgewaltigste Kabarettist der Nachkriegszeit, aktiv und unbeirrbar bis zuletzt. Er war ein respektvoller Mensch, dessen Pointen die Gürtellinie immer beachteten, aber “Respekt” hatte er vor niemandem, erst recht nicht vor denen, die meinten, uns und unsere Demokratie vor ihm schützen zu müssen.

Pures Meckern, und sei es noch so lustig verpackt, war ihm fremd. Pispers und Schramm mögen viel von ihm gelernt haben. Aber Pispers predigt nur, Schramm wettert ins Gewissen. Angemessen, unterhaltsam, inhaltlich treffend. Kabarett war früher mal mehr.

Hüsch, Drechsel, Neuss, die Lorenzens, all’ die Granden des Nachkriegskabarett mit ihrem reichhaltigen Vorrat an Stilmitteln sind schon gegangen. Hildebrandt war der letzte in dieser Spielklasse.

Unvergessen, wie Hildebrandt bei “Schimpf vor Zwölf” zu Silvester 10 min vor Mitternacht ein Solo begann und 20 Minuten dermassen textdicht improvisierte, dass der Techniker in der Sendezentrale schlicht vergass, kurz vor Mitternacht zu Uhr und Raketen überzublenden. Dieter hatte den Jahreswechsel überredet — in den wahrsten Sinnen der Worte.

Als Teenager hockte ich mit einem Mikrofon in der Hand vor dem Fernseher und lebte in dem Irrglauben, “Schimpf vor Zwölf” auf ewig auf Kassette archiviert zu haben. Viel später erst lernte ich die Vergänglichkeit aller Speichermedien kennen. Nunja. “Wenn wir uns nicht über die eigene Vergänglichkeit hinwegsetzen können, machen wir uns wenigstens darüber lustig.” (Dieter Hildebrandt)

Meine ersten publizierten Texte waren Glossen in der Schülerzeitung — natürlich von Hildebrandt inspiriert. Ich glaube, nur Rudolf Augstein hat mein Verhältnis zur deutschen Sprache mehr geprägt als Hildebrandt. Ich bin beiden dankbar dafür.

Er wurde zu der Zeit berühmt, in der der Journalismus als “Sturmgeschütz der Demokratie” oder “Vierte Gewalt im Staate” betitelt wurde. Meistens war dies auf den “Spiegel” gerichtet, der damals ein investigatives, unabhängiges Nachrichtenmagazin war und solche Orden zu recht trug. Die Lach- und Schiessgesellschaft mit Hildebrandt, mitten in München, dem ewigen Hauptquartier der Demokratieförderung und selbstloser Unterstützung der Wirtschaft, war mindestens die “Fünfte Gewalt”.

Dieter riss der Macht nicht die Maske herunter. Er zwang sie zur Selbstentblössung. Lebenslang sammelte er seine Trophäen — die Liste derer, die ihn als “Staatsfeind”, als “politischen Giftmischer” (Franz-Josef Strauss) bezeichneten, seine Werke als “nicht gemeinschaftsverträglich” (vulgo: “nicht sendereif”, Bayrischer Rundfunk) bezeichneten. Christian Schwarz-Schilling glaubte, in “übler, journalistisch unqualifizierter Weise” dargestellt worden zu sein. Hildebrandt nahm interessiert zur Kenntnis, nun doch Journalist zu sein.

Er behauptete nie, der Rhein-Main-Donau-Kanal sei ein Korruptionsprojekt. Nein, das sagte er nicht. So jedenfalls nicht. Heute wissen wir alle, dass… er recht hatte.

Er bewirkte viel durch das, was er so gerade eben dann… doch nicht sagte. Das dergestalt herausgeforderte Publikum musste die verstotterten, abgebrochenen Sätze selbst zuende denken. In meiner Phantasie sassen vor Wut schäumende Anwälte in der bayrischen Staatskanzlei und schwiegen in ihre Diktiergeräte.

Das kabarettistische Stilmittel, den Inhalt ins Weggelassene zu verlagern, wurde im dritten Reich und in der DDR entwickelt und gepflegt. Hildebrandt entwickelte sie in der BRD weiter — in einem Staat, von dem man dachte, sowas sei nicht mehr nötig. Die Reaktionen beweisen das Gegenteil.

1978 gab es eine Dienstanweisung im Bayrischen Rundfunk, der Redaktion der “Notizen aus der Provinz” kein dokumentarisches Material mehr zur Verfügung zu stellen. Mächtige ärgert man nunmal am Besten mit ihren eigenen Zitaten. (Nebenbei: Das funktioniert heute noch. Die Fellowship Düsseldorf hat das neulich mit einem Bundestagsabgeordneten sehr schön vorgeführt.)

Hildebrandt gab in den “Notizen” den Moderator. Er persiflierte die Politikmagazine des Fernsehens; offensichtlich zu gut. Das ZDF änderte den Untertitel von “Magazin” in “Satirische Randbemerkungen”. Man hatte Angst davor, die Zuschauer könnten die Sendungen ernstnehmen.

Auch das war seine Kunst: Andere in einer Weise zu karikieren, in der er seinen Opfern sogar vorführte, wie es besser geht. Auf den einschlägigen Videoplattformen liegt sein legendärer “Rentner-Rap”. Sprachlich, rhythmisch und im Vortrag ein astreiner Rap, die Rapper persiflierend.

Kann es einen grösseren kabarettistischen Erfolg geben, als den freistaatstragenden Bayrischen Rundfunk dazu zu bringen, sich aus dem laufenden ARD-Programm auszublenden? So widerfuhr es den “Notizen” 1980. Begründung: Unbotmässigkeit. Thema: Tschernobyl. Programmdirektor Dieter Stolte wollte sich zum Intendanten des ZDF profilieren. Er verordnete der Sendung eine “Denkpause”. Hildebrandt ging nach Berlin und kurbelte beim SFB seinen “Scheibenwischer” an. Als Matthias Richling 2009 die Sendung durch mehr “Comedy” verflachen wollte, entzog ihm Hildebrandt die Namensrechte.

Ein legendäres Programm der “Lach und Schiess” von ca. 1973 jonglierte mit der Idee, Bayern könne sich vom Bund lossagen. Was würde passieren? Kurz zuvor hatte das CIA-unterstützte Militär in Chile geputscht. Auf der Bühne zog man Parallelen zwischen dem als Gefangenenlager missbrauchten Stadion in Santiago de Chile und dem Münchner Olympia-Stadion. Nein! Man behauptete nix! Vor allem nicht, dass die Gefahr bestünde, Strauss könne zum Diktator mutieren! Alles weitere passierte nur in unserer Phantasie. Sie war Hildebrandts beste Waffe.

Hatte er das Publikum überraschend zu einer längeren Denkpause ohne sichtbare Reaktion verdonnert, grinste er gerne. “Ja ich weiss, das dauert jetzt etwas.”

1986 bekannte Hildebrandt, nur deshalb nie in die SPD eingetreten zu sein, weil er “schnell wieder rausgeflogen wäre”. Das hinderte noch 2007 den “Vorwärts” nicht daran, ihn als altes Mitglied einzuordnen. Hildebrandt nahm es gelassen. Er wehrte sich nie gegen Beleidigungen. Er nahm sie als Originalton und Inspiration für sein Werk.

Zu seinem 75sten sagte er: “Ich lasse die anderen nicht in Ruhe.” Und so machte er es dann. Die ungebrochene Flut seiner Gedanken präsentierte er in “Lesungen”, das Buch griffbereit auf dem Tisch. “Ja, ich les ja gleich.” Es waren Solo-Programme, in ständiger Änderung begriffen, ihre satirische Grundhaltung stets von der Realität überrollt. “Ja, ich les ja gleich.” Er las nie. Er improvisierte. Über alles — ausser dem, was im Buch steht.

Er war der Bühnentyp, der konsequent weiterlebt, solange er die drei Stufen auf die Bühne schafft. Klappt das nicht mehr, wird es knapp. Im Dezember wollte er sich in München auf der Bühne von seinem Publikum, von uns allen, verabschieden. Es kam leider anders.

Nirgendwo wurde sein Tod treffender kommentiert als auf den WWW-Seiten seines letzten Projektes, “Spiel, Satz und Sieg für Hildebrandt.

Mach et joot, Dieter! Un meld disch ma!