Bereits im Jahre 2008 war der sächsische Landtag mit seiner Debatte zur Vorratsdatenspeicherungweit weit über sächsische Grenzen hinaus netzpolitisch in Erscheinung getreten. In der letzten Plenarwoche wurden im sächsischen Landtag gleich zwei spannende netzpolitische Debatten ausgetragen: Die erste hatte den umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zum Thema, die zweite die freie Software (FOSS). Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen, und so habe ich den sächsischen Landtag für die beiden Debatten mit meiner Anwesenheit beehrt und möchte meine Eindrücke hier dazu berichten.
1 Debatte über Freie Software zur großen FLOSS-Anfrage der Grünen
Zu der FLOSS-Debatte kam es, weil die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine große Anfrage an die Staatsregierung zur Nutzung von freier Software in staatlichen Behörden und Schulen des Freistaats gestellt hatte. Die Antwort der Staatsregierung auf die Anfrage hatten sie öffentlichkeitswirksam ausgewertet, und aus ihrer Auswertung Forderungen an die Staatsregierung abgeleitet und in Form eines Entschließungsantrags in das Plenum des sächsischen Landtags eingebracht.
Ich kann nur wärmstens empfehlen sich diese Debatte einmal reinzuziehen. Allein was dort an netzpolitischer Inkompetenz von CDU und FDP zu Tage tritt, hat Popcorn-Potential. Die Debatte kann man sich HIER als Flash-Video oder eingebettet mit dem Video-Tag im OGG-Theora-Format ansehen, und sie außerdem dort auch in einem offenen Format herunterladen. Doch zu der Geschichte mit dem Videoformat mehr am Ende des Blogbeitrags, denn sie passt hier thematisch geradezu vortrefflich rein.
Eröffnet wird die Debatte von Dr. Karl-Heinz Gerstenberg (Bündnis 90/Die Grünen) als Sprecher für die einbringende Fraktion; und ich muss zugeben, dass er mich mit seiner Rede wirklich ins Staunen versetzt hat. Eine so kompetente und prägnante Behandlung eines netzpolitischen Themas durch einen Berufspolitiker ist in einem deutschen Parlament vermutlich selten zu hören. Als kleinen Kritikpunkt könnte man vielleicht anmerken, dass Herr Dr. Gerstenberg das Ganze für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr auf den finanziellen Aspekt abhebt, aber insgesamt finde ich das schon sehr eindrucksvoll, was er dort abliefert.
Auch die Rede von Julia Bonk (Die Linke.) finde ich insgesamt sehr gelungen. Sie spricht einige weitere wichtige Punkte an; wie zum Beispiel die Problematik, dass mit dem derzeitigen Status Quo die sächsischen Schülerinnen und Schüler gedankenlos zu Jüngern proprietärer Software herangezüchtet werden, während freie Software eine Alternative bieten würde, die nicht einfach nur mit alternativen Produkten aufwartet und das gleiche Spiel in grün statt blau fortsetzt, sondern die aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften das Neutralitätsgebot erfüllt. Tiefer durchdrungen scheint sie das Thema aber leider nicht zu haben. So spricht sie stets von «nicht lizenzierter» und «lizenzierter Software», meint aber offensichtlich eigentlich freie und proprietäre Software. An einer Stelle erzählt sie sogar etwas von «Software mit nicht-lizensiertem Quellcode». Das ist insofern sehr schade, als sie dadurch den Eindruck erweckt, bei freier Software handle es sich um irgendeinen subversiven Anarcho-Neustadtkram — oder gar um etwas Illegales. Es ist ja nicht so, dass ich grundsätzlich Subversion gegenüber vollkommen abgeneigt wäre :), aber das geht in diesem Fall einfach an der Sache vorbei. Um es noch einmal klarzustellen: Auch freie Software ist lizenziert — ganz legal. Die weitverbreitetste FOSS-Lizenz ist die GNU General Public License (GPL). Ebenfalls sehr bekannt im Freien-Software-Umfeld sind die BSD-artigen Lizenzen, welche sich von der GPL vor allem dadurch unterscheiden, dass sie keine Copyleft-Klausel besitzen.
Martin Modschiedler (CDU) kritisiert, dass um seine Ohren «Fachtermini» geworfen werden. Wie er gerade auf diesen Kritikpunkt kommt, ist mir ein Rätsel, denn noch kompakter und abstrakter als Herr Dr. Gerstenberg in seiner Rede kann man es doch nun wirklich kaum erläutern. Zudem wird man durch das Eckpunktepapier und das Hintergrundpapier zur großen Anfrage mit allgemeinverständlichen Grundlagen zum Thema freie Software versorgt. Natürlich sollte man die Dokumente schon auch lesen und verstehen wollen, um sie verstehen zu können. Modschiedler kritisiert weiter, dass dieses Thema im Plenum diskutiert wird und nicht in den entsprechenden Fachausschüssen. Ich unterstelle der grünen Fraktion an dieser Stelle einmal, dass sie das Thema ganz bewusst ins Plenum eingebracht haben. Denn es handelt sich hier eben nicht um eine einfache ‘Produkt A vs. Produkt B’-Frage, die von den entsprechenden Fachleuten im Ausschuss geklärt werden sollte, sondern um etwas viel Grundlegenderes, das—wie auch Gerstenberg gleich zu Beginn sagt—alle etwas angeht oder zumindest in einer Demokratie alle etwas angehen sollte. Herr Modschiedler stellt außerdem fest: München ist eine Stadt. Dass das LiMux-Projekt als Referenz für eine gelungene Migration einer großen IT-Landschaft auf freie Software weitaus besser geeignet ist, als Modschiedler es darstellt, wird allein schon dadurch deutlich, indem man sich einmal die Bevölkerungszahlen betrachtet: An diesen erkennt man, dass München mit seiner Einwohnerzahl von rund 1,3 Mio. von der Bevölkerungszahl her gar nicht so viel kleiner ist als der gesamte Flächenstaat Sachsen mit seinen rund 4,1 Mio. Einwohnern — hier liegen keine Größenordnungen dazwischen. Schön finde ich auch: «Ist denn die Software-Kontrolle billiger als das Paket, was Sie von Microsoft bekommen. Das will ich doch nur wissen!» Ich befürchte, diese Frage wird Herr Modschiedler wohl keiner so richtig beantworten können. ;)
Im Gegensatz zu Martin Modschiedler mimt Carsten Biesok (FDP) den kompetenten IT-Projektmanager, der angeblich schon ganz viele «große Migrationsprojekte in der Wirtschaft» mitbekommen hat und der bei der freien Software seine Bedenken hat. Ob die vier Freiheiten zur Überprüfbarkeit der Sicherheit von Software beitragen, wisse er nicht, aber er habe da auf jeden Fall seine Bedenken. Beim Standard-PC, der dafür genutzt werde, um mit «Word- und Excel-Anwendungen einfache Anwendungen zu machen», hätte er auch kein Problem damit, eine Open-Source-Lösung einzusetzen, sofern die dann auch brav die proprietären Formate spricht. Bei Netzwerken habe er aber auf jeden Fall seine Bedenken und er hat dort größeres Vertrauen in die «Standardsoftware eines internationalen Konzerns». Ich vermute, man müsste das Grundprinzip der freien Software Herrn Biesok noch einmal genauer erklären, denn hier vermischt er einiges: Software nimmt immer stärkeren Einzug in unseren Alltag und gewinnt in zunehmenden Maße Kontrolle über unser Leben. Es ist daher von essentieller Bedeutung für unsere Demokratie, dass die Kontrolle über diese Software nicht bei einzelnen großen Herstellern liegt, sondern bei der Allgemeinheit. Die vier Freiheiten bilden dafür eine notwendige Grundlage, denn sie machen einen transparenten Software-Entwicklungsprozess erst möglich. Sie stellen außerdem rechtlich und technischer sicher, dass—falls kein transparenter Entwicklungsprozess stattgefunden hat—die Software zumindest im Nachinein überprüft und bei Bedarf angepasst werden kann. Die vier Freiheiten ermöglichen, dass sich im Prinzip jeder an der Software-Entwicklung beteiligen kann. Ob dann die Änderungen von dem Projekt angenommen werden, ist wieder eine ganz andere Frage — im schlimmsten Falle kann man das Projekt forken. Das bedeutet aber nicht, dass jetzt jeder den gesamten Quellcode der Software durchlesen muss—das geht selbst nicht, wenn man programmieren kann, bevor man ihn einsetzt, oder dass man nur von den Vorteilen freier Software profitiert, wenn man sich selbst an der Entwicklung aktiv beteiligt oder man Dritte dafür bezahlt, Änderungen für einen vorzunehmen. Bei den großen freien Software-Projekten wie z.B. dem Linux-Kern, Firefox, OpenOffice.org, KDE oder GNOME sind Parteien mit so unterschiedlichen Interessen an der Entwicklung beteiligt — von verschiedensten Firmen über die NSA und Forschungsgruppen bis hin zu Freizeit-Hackern. Man kann deswegen davon ausgehen, dass es keiner der beteiligten Parteien möglich sein sollte, eine Funktion wie z.B. eine Backdoor in die Software einzubauen, die nur den Interessen einer Partei dient, und den anderen Parteien und der Allgemeinheit schadet. Zusätzlich experimentieren extern noch weitere Akteure mit dieser Software, die sich jetzt nicht direkt an der Entwicklung beteiligen, die aber als weitere Kontrollinstanz fungieren. Also: Es soll doch jetzt nicht jeder Landtagsabgeordnete die Software für sich selbst anpassen oder den Quellcode auf Sicherheitslücken überprüfen. Auch für freie Software gibt es Projekte von der Community und von Firmen wie Red Hat, Google, Novell, Canonical, IBM, Nokia, Intel, etc., die einem «Standardsoftware» und die nötigen Sicherheitsupdates mindestens genauso zuverlässig wie Microsoft, Apple und Co. zur Verfügung stellen.
Petra Köpping (SPD) macht auch nicht gerade den Eindruck, als ob ihr wirklich klar ist, worum es überhaupt geht. Aber sie gibt das zu — und wenigstens hat die SPD dem Antrag zugestimmt.
Besonders enttäuscht bin ich von dem Auftritt des Justizministers Dr. Jürgen Martens (FDP), denn er hatte—gemeinsam mit seinen Kollegen Klaus Bartl (Die Linke.) und Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen)—in der Debatte zur Vorratsdatenspeicherung damals sehr geglänzt. Dass sich eine vornehmlich marktliberale Partei—welche die FDP momentan nun leider einmal ist—nicht unbedingt von jetzt auf gleich für die Förderung freier Software erwärmen lässt, dafür habe ich ja sogar in gewissem Maße noch Verständnis. Sich aber gegen eine Förderung und Durchsetzung offener Standards auszusprechen, und an dieser Stelle zu argumentieren, man müsse sich an Marktstandards halten, widerpricht dem liberalen Grundgedanken zutiefst. Denn nur offene Standards machen eine flexible, kompatible und vor allem transparente, kontrollierbare IT-Infrastruktur überhaupt erst möglich, welche in einer Informationsgesellschaft von großer Bedeutung ist — gerade wenn es um die Speicherung und den Austausch von Daten des Staates und der Bürgerinnen und Bürger geht. Ein solches Denken, man möge sich doch an die gängigen Marktstandards halten, ist nicht einmal mehr marktliberal, sondern schon als marktlibertär oder marktradikal zu bezeichnen. Denn selbst rein marktliberal gedacht müsste man sich eindeutig für offene Standards aussprechen, weil sie eine unabdingbare Grundlage für einen fairen Wettbewerb auf dem IT-Markt bilden und Monopolisierungstendenzen vorbeugen. Bemerkenswerterweise kommt dann auch im Zirkelschluss das Argument, man könne freie Software nur einsetzen, wenn sie die gängigen proprietären Marktstandards zum Austausch von Daten mit dem Bund und anderen Ländern implementiert. Jetzt wäre der Zeitpunkt, um sich im Rahmen des IT-Planungsrates für offene Standards einzusetzen! Leider haben CDU und FPD außer im Berliner Abgeordnetenhaus weder auf Bundesebene, noch in den Ländern diese Chance genutzt. Den Antrag der Grünen im sächsischen Landtag zum IT-Planungsrat, der offene Standards als Forderung enthielt, haben sie abgelehnt und dafür einen eigenen Antrag eingebracht. Das gleiche gilt für die Fachverfahren und Spezialanwendungen: Der Staat ist hier der Kunde und kann seine Anforderungen festlegen. Gerade hier liegt es doch in der Hand der Politik zu fordern, dass bei jeder Neuentwicklung einer solchen Fachanwendung diese ab sofort offene Standards verwenden muss und als freie Software auch für GNU/Linux verfügbar ist. Gerade bei Auftragsentwicklungen funktionieren im Übrigen exakt die gleichen Geschäftsmodelle der proprietären Software auch 1-zu-1 mit freier Software.
Den Grundtenor von CDU und FDP könnte man zusammenfassend wie folgt wiedergeben: «Wir sind freier Software gegenüber aufgeschlossen, verstehen aber nicht wirklich, worum es eigentlich geht und haben da deswegen unsere Bedenken. Wir haben auch keine Lust uns damit auseinanderzusetzen. Es soll alles bleiben wie es ist. Das ist gut so und das haben wir schon immer so gemacht.» Dem Antrag könne man nicht zustimmen, weil er vorsehe, den ersten Schritt vor dem zweiten zu machen und erst einmal gedankenlos mit der Migration zu beginnen, ohne zu prüfen ob das überhaupt geht. Wenn man sich den Antrag aber durchliest, erkennt man, dass dies alles Scheinargumente sind. Natürlich ist in dem Antrag eine Machbarkeitsstudie vorgesehen — es soll nicht einfach alles blind umgestellt werden, ohne das vorher intensiv zu prüfen. Nur enthält der Antrag eben eine grundsätzliche A-priori-Bevorzugung freier Software — und dies aus gutem Grund und gut begründet.
Schade, hier hätte man in der Netzpolitik in Sachsen wirklich weiterkommen können.
Zum Abschluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Ergebnisse der großen Anfrage am Samstag, den 29.05.2010 um 19:00 Uhr im Rahmen der nächsten Linux-Installparty im Weltcafé Dresden vorgestellt werden.
2 JMStV
Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wurde im sächsischen Landtag debattiert, da es dazu einen Antrag von den Linken und den Grünen gab.
Die Reden von SPD, Linken und Grünen finde ich allesamt gleichermaßen recht gelungen, wobei ich es ein wenig verwunderlich finde, dass sich die SPD trotz dieses Redebeitrags nicht dazu durchringen konnte, wenigstens einem der beiden Anträge zuzustimmen. Aber das ist vermutlich die (seeheimersche) sozialdemokratische Politik, für die mir wohl irgendwie einfach das Verständnis fehlt. FDP und CDU begnügen sich damit, die bereits in vollem Umfang entkräfteten Argumente für den JMStV einfach zu wiederholen. Dabei finde ich es vor allem beachtlich, wie es Union und FDP schaffen, gegen die Beschlussempfehlung der medienpolitischen Sprecher ihrer eigenen Partei bzw. sogar gegen ihren eigenen Parteitagsbeschluss anzuargumentieren. Aber seht selbst — HIER geht es zur Debatte.
Ach ja — Video: Es ist ja wirklich sehr lobenswert und vorbildlich, dass der sächsische Landtag seine Debatten als Videoaufzeichnungen im Netz anbietet. Das war es dann leider aber auch schon mit der Vorbildlichkeit, denn das Format, in dem der Landtag die Debatten ausliefert, ist der Windows-Media-Video-Codec im MMS-Stream. Im Browser lässt sich dieser Stream unter GNU/Linux nicht anzeigen, und herunterladen kann man diese Datei auch nicht, um sie dann mit VLC, xine oder dem MPlayer anzuzeigen, weil der Server das Video nur Häppchenweise ausspuckt. Nun gut, denkt man sich, z.B. mit dem MPlayer kann man MMS-Streams ja dumpen. Fehlanzeige: Die gesamte Debatte eines ganzen Tages ist in einer einzigen riesengroßen WMV-Datei abgelegt. Mit dem VLC habe ich es dann doch noch hinbekommen, das nur Ausschnittsweise zu capturen. Die WMV habe ich mit ffmpeg nach OGG theora/vorbis konvertiert, in einen Matroska-Container verpackt und das dann auf Archive.org hochgeladen. Streng genommen ist das vermutlich eine Urheberrechtsverletzung, aber in diesem Fall muss ich ganz klar sagen: Ich lasse mich doch nicht einfach von der Demokratie ausschließen, nur weil ich kein Windows habe. :) Verschuldet durch die gruselige Qualität des Ausgangsmaterials sind bei der Konversion leider ein paar Frames hopps gegangen, was zur Folge hat, dass Bild und Ton jetzt nicht mehr synchron sind — die Reden versteht man aber trotzdem gut. Ich bitte das zu entschuldigen; ehrlich gesagt hatte ich nach diesem Krampf dann keine Lust mehr, noch großartig Weiteres damit zu versuchen.
Man sieht hier auf jeden Fall: Das Einstehen für offene Standards und freie Software hat Sachsen mehr als nötig ;).