MAGIX: Retten Sie Ihre Videokassetten!

Seit einiger Zeit bekomme ich mehr und mehr Anfragen ob das von MAGIX angebotene Paket zur Digitalisierung und Archivierung von alten Videokassetten etwas taugt.

Als Techniker im nationalen Videoarchiv habe ich wahrscheinlich gewisse Ansprüche an die Digitalisierung und Archivtauglichkeit von Videomaterial, die für die meisten Endanwender_innen vielleicht “overkill” wären (z.B. verlustfreie Codecs).

Um analoge Videos einfach und billig zu überspielen ist dieses Produkt derzeit kaum zu unterbieten.
Die langfristige Archivierbarkeit (und Qualität) der Ausgabeformate stelle ich jedoch sehr in Frage.

Beim Nachlesen über dieses MAGIX-Paket fielen einige Dinge auf, die man vielleicht wissen/bedenken sollte, bevor man sich dieses Produkt zulegt.

Zusammenfassung / Überblick

  • Fragliche Qualität des Analog/Digitalwandlers
  • Ausschließlich verlustbehaftete Ausgabeformate
  • Sowohl WMV, als auch optische Speichermedien sind als Archivformat absolut unzulänglich
  • Unklare Generationsverluste bei Aufnahme/Bearbeitung/Export

Mögliche Hybridlösung:
MAGIX-Wandlerstick mit VirtualDub verwenden (siehe unten) und FFV1 oder DV als Videocodec verwenden. PCM für Audio.
Originaldateien auf Festplatte(n) speichern, und DVD/Blu-Ray lediglich für Ansichtskopien.
Somit kann man beschädigte DVD/Blu-Rays jederzeit neu erstellen, oder in Zukunft sogar in das-dann-gängige Videoformat zum Ansehen überspielen. Ohne zusätzlichen Generationsverlust.

Unterstützte Audio/Videoformate:
Unter “Technische Daten > Dateiformate” werden die unterstützten Formate für Video/Audio/Bild aufgelistet.

Die dort angegebenen Formate richten sich ausschließlich nach den Dateiendungen von Medienfiles (zB AVI, MOV, MP3, OGG). Das wirkt auf den ersten Blick zwar einfach(er), jedoch fehlen dadurch konkrete Informationen über die tatsächlich unterstützten Codecs.
Ein Videofile besteht immer aus 3 Komponenten:

  1. Container
  2. Video-Codec
  3. Audio-Codec

Abgesehen davon, dass die angegebenen “Videoformate” eine Mischung von Containern (AVI/MOV) und Codecs (DV, MPEG-1, MPEG-2, WMV) sind, wird ausschließlich “WMV(HD)” als Video-Exportformat aufgelistet.
Unter Anderem gibt es dort keine Information wie der Ton des Videos abgespeichert wird.

Die Liste an Audioformaten gibt lediglich an, dass man ausschließlich verlustbehaftete (!) Codecs wie MP3/WMA/Vorbis importieren kann.

Analog-Digital Wandler (AD-Konverter):
Das analoge Videosignal wird über einen kleinen, süßen USB-Stick mit Videoeingängen digital gewandelt.
Ich konnte noch keine öffentlich-zugänglichen Informationen über die technischen Details dieses Wandlers finden.

Offene Fragen:

  • Liefert der Wandler das unkomprimierte Digitalsignal – oder bereits eine verlustbehaftet (=lossy) komprimierte Version?
  • Selbe Frage für Audio…
  • Bleiben die Video-Halbbilder 1:1 erhalten?
  • Wird die Farbinformation beibehalten, oder das Subsampling verändert (zB 4:2:2 auf 4:2:0?)

Obwohl der Wandler-Stick von anderen Videoprogrammen (zB VirtualDub) als Eingang verwendet werden kann, ist unklar ob man bereits bei der Aufnahme in einen anderen Codec bereits einen Generationsverlust hat.
Das wäre für etwaige Nachbearbeitungen (zB Zuschneiden, Farbkorrekturen, Tonkorrekturen, etc) relevant, da man es sonst gleich mit mindestens 3 Generationsverlusten zu tun hätte:

  • Verlust 1: Lossy-Kompression im Wandler
  • Verlust 2: Bild-/Tonaufnahme in lossy Codec (WMV?)
  • Verlust 3: Export in lossy Codec/Format (DVD,Blu-Ray,etc)

UPDATE (26.Aug.2015):
Wie mir nun mitgeteilt wurde, gab es früher die Möglichkeit das MPEG-2 zu exportieren.
Dieser “Programmfehler” wurde jedoch von MAGIX behoben.

Zitat MAGIX Support:

“Wenn Ihnen als Exportformat MPEG2 angezeigt wurde, handelt es sich dabei um einen Bug, der nach dem nächsten Programmstart automatisch korrigiert wurde.
Es gibt also keine Möglichkeit, das Video in MPEG2 zu exportieren, diese Funktion lässt sich auch nicht aktivieren.”

Der Support gab jedoch den Tipp, dass das MPEG des Wandlersticks im Ordner “My Record” abgelegt wird.
Damit hätte man zumindest nur einen Verlust gehabt.

Dieser “Programmfehler” wurde jedoch ebenfalls behoben:
Das unberührte MPEG2 gibt es nicht mehr – es wird nun gleich in ein 16:9 HD WMV/WMA zwischengespeichert.

Damit kommen in der aktuellen Version noch 2 Verluste hinzu:

  • Verlust 4: Interpolation durch Skalierung von SD auf HD (720×576 auf 1920×1080)
  • Verlust 5: Wenn keine schwarzen Balken links/rechts, dann Cropping

Ich hoffe, dass zumindest der Ton bis zum Zeitpunkt des Exports unkomprimiert (PCM) abgespeichert wird.
Klar ist es nicht.

Für die, die ihre Videos in einem (immer noch) sinnvollen Preis/Leistungsverhältnis überspielen und sicher(er) aufbewahren möchten, habe ich hier ein paar Optionen und Hintergrundinfos zusammengefasst:

Archivtauglich(ere) Formate:
Am Besten ist natürlich, wenn man sich leisten kann Audio/Video unkomprimiert oder mit mathematisch verlustfreien (=lossless) Codecs (zB FFV1) abzulegen. Derzeit sind für Endanwender_innen die Datenmengen dabei jedoch wahrscheinlich noch zu groß.
Beispiel “FFV1/PCM in AVI” benötigt ca. 90 GB für 4h VHS (~370 MB/Min).

Verlockend ist natürlich kleinere Dateien zu erzeugen, aber das hat seinen Preis.

Sollte man sich entscheiden, verlustbehaftet zu komprimieren wäre so ziemlich jeder andere Codec ausser Windows Media zu bevorzugen. WMV/WMA ist aufgrund seines Microsoft-Ursprungs stark mit Windows verheiratet, und es ist aufgrund von lizenz- und patentrechtlichen Hürden unklar womit (und unter welchen Bedingungen) man diese Dateien in Zukunft öffnen kann. Für Nicht-Windows-Umgebungen liegen die Lizenzkosten für Hersteller von Programmen/Geräten, die WMV abspielen (oder umwandeln) möchten derzeit bei 300.000 USD pro Jahr. Siehe “Windows Media Components Product Agreement, Seite 12.

Der beste Kompromiss wäre wahrscheinlich “DV” (=verlustbehaftet, aber weit-verbreiteter offener Standard) als Videocodec mit PCM (=unkomprimiert. Quasi “WAV”) für Audio in AVI. Das wären ungefähr 55 GB für 4h VHS (~230 MB/Min).
Vom Preis/Leistungsverhältnis wäre zB ein Analog-zu-DV Wandler, wie zB der ADVC55 sinnvoll.

Als Aufnahmeprogramm kann “VirtualDub” verwendet werden. Der Ton sollte dabei unkomprimiert (PCM) aufgenommen und so auch im Videofile gespeichert werden. Voreinstellungen (=Presets) wie man damit DV am exaktesten aufnimmt, kann man sich von hier herunterladen.
Diese Einstellungen sind Teil von DVA-Profession, und werden in der Österreichischen Mediathek (dem nationalen Audio/Videoarchiv) verwendet.

Als generelle Faustregel für die Langzeitarchivierbarkeite von Medienformaten kann man sagen, dass eine Implementierung eines offenen Formats/Standards unter einer Freien Softwarelizenz (zB GPL) die besten Chancen hat quasi “für immer” zugänglich zu sein.
Wenn zum Beispiel ein offenes Medienformat vom Tool “FFmpeg” unterstützt wird, stehen die Chancen sehr sehr gut 🙂

DVD/Blu-ray als Trägerformat:
Hier ein kurzes Zitat von der Produktseite:

Digital ist besser: Vorteile von DVDs & Blu-ray Discs
Neben dem großen Speicherplatz, der langen Lebensdauer und der geringen Größe, besitzen sie keine sensiblen, mechanischen Bauteile und sind daher ideal zum Archivieren geeignet!

Das mit den mechanischen Bauteilen stimmt natürlich, aber “ideal zum Archivieren“?
Theoretisch “ja” – praktisch “nein”.

Die Zeit in der Archive alles auf optische Datenträger gespeicher haben sind vorbei. Größtenteils, da sich sehr schnell herausgestellt hat, dass gebrannte optische Datenträger noch viel anfälliger und kurzlebiger sind als Analogmaterial, Festplatten oder Magnetbänder. Gebrannte Scheiben die nach 2 Jahren schon nicht mehr fehlerfrei lesbar sind, sind nicht die Ausnahme. Je höher die Datendichte, desto fragiler natürlich auch die Daten darauf…

Weiters sollte man zwischen “Daten-Disk” und “Video-Disk” unterscheiden – das gilt für CD, wie DVD und Blu-Ray.
Wenn man seine Videos als Video-Disk brennt (zB Video-DVD), ist das Audio/Videoformat – inklusive Auflösung und Seitenverhältnis – größtenteils festgelegt. Derzeit sind das ausschließlich verlustbehaftete Videocodecs:

  • CD: MPEG-1
  • DVD: MPEG-2
  • Blu-Ray: MPEG-4 (H.264)

Es gibt (noch) keinen perfekten Träger. Schon gar nicht für Digitales.
Derzeit würde ich empfehlen, die Originaldateien auf Festplatte(n) zu speichern – und auf DVD/Blu-Ray lediglich Ansichtskopien.
Damit kann man auch das Archivformat und das Abspielformat des Videos trennen, und so seine Chancen erhöhen in Zukunft leichter und ohne zusätzlichen Generationsverlust auf zukünftige Formate für’s Ansehen der Videos zu konvertieren.

Seitenverhältnis:
Analoges Video in “Standard Definition” (SD) Auflösung, war immer für das Seitenverhältnis 4:3 aufgenommen – und so ist das Bild auch am Band gespeichert.
In den Screenshots auf der MAGIX Website wird das Video jedoch ausschließlich 16:9 angezeigt:

Sogar wenn man schwarze Balken oben und unten hat (=Letterbox), ist die Information am Band eigentlich nicht Breitbild.

In Europa haben wir PAL als Fernseh-/Videonorm.
Digitalisiert man PAL-SD-Video, ergibt sich dadurch in den meisten Fällen eine Pixelauflösung von 720×576. Aufgrund quadratischer Pixel entspricht das 5:4.

Auch wenn man 16:9 auf DV (=”Digital Video”) aufgenommen hat, wurde es anamorph mit 720×576 Pixel (=5:4) gespeichert – also ebenfalls nicht Breitbild.

Will man 4:3 auf 16:9 Vollbild abbilden, geht immer Information verloren.

Wie geht das MAGIX Videoprogramm damit um?
Beschneidet es automatisch, oder könnte man stattdessen schwarze Balken links/recht (=”Pillarbox“) haben? Das wäre das verlustfreie Video-Bildformat zur Archivierung, falls man auf ein 16:9-Anzeigeformat konvertieren will (zB Blu-Ray/HD).

Ich wage nicht zu fragen wie mit Halbbildern (=Fields) und/oder Deinterlacing umgegangen wird…

MXV:
Nur noch kurz eine Anmerkung zum “MXV” Format für Video:
In meiner Arbeit im nationalen Videoarchiv haben wir es tagtäglich mit den unterschiedlichsten Videodateiformaten als Quelle zu tun. MXV war mir bis dato unbekannt. Bei meiner Recherche fand’ ich wenig bis keine technischen Informationen darüber, abgesehen von diesen:

  • Es ist ein MAGIX-internes Format (wahrscheinlich ein Container)
  • Es gibt wahrscheinlich keine Tools (außer von MAGIX), die es öffnen/konvertieren können
  • Vielleicht ist es auch eine Projektdatei für MAGIX Videoprogramme
  • Angeblich enthält es MPEG-2 als Videocodec
  • Welches Audioformat es enthält ist völlig unklar. PCM? MP3? WMA? MXA?

Sollte man Videos in diesem Format abgelegt haben, empfehle ich sehr dringend sie bald-möglichst mit den MAGIX-Tools in ein offenes Format umzuwandeln. Es ist völlig unklar ob (und womit) man MXV überhaupt jemals wieder öffnen kann.
Leider kann bei einer Konvertierung nicht sichergestellt werden, dass man keine Qualität verliert (nochmalige, verlustbehaftere Kompression beim Export).

Beschwerden bitte nicht an mich, sondern an MAGIX 😉