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Ein Tag im Landtag

Die Landesregierung und der Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland suchen den Rat der Bürgerinnen und Bürger; da kann die FSFE nicht abseits stehen.

Ziel des Zukunftsforums „Digitale Bürgerbeteiligung“ am 17.05.2013 im Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen war es erklärtermaßen, erste Eckpunkte der Open.NRW-Strategie vorzustellen und in den Diskussionen vor Ort Impulse für die Weiterentwicklung der Strategie zu gewinnen.

Um sich zu beteiligen, reichte der Chronist, nachdem er auf der Fahrt im Bus nach Chemnitz von dieser Veranstaltung erfahren und von einem mitreisenden Landtagsabgeordneten animiert worden war, sich einzubringen, als Fellow der FSFE einen Vorschlag für einen Vortrag in “Slot 2” ein, der in der Bewertungsphase immerhin 81 Stimmen erhielt.

Angekündigt wurde dieser Vortrag wie folgt:

“Offene Verwaltungsdaten (Open Data)
OpenData durch Offene Standards

Ein Offener Standard ist ein öffentlich zugängliches technisches Dokument, das unter Beteiligung aller interessierter Parteien entwickelt wird. Soweit der Standard oder Teile davon gewerblichen Schutzrechten unterliegt, sind diese unwiderruflich gebührenfrei nutzbar. s.a. http://fsfe.org/activities/os/def.de.html Wenn Daten allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden sollen, ist die Verwendung Offener Standards unabdingbar. Proprietäre Formate schließen Bürger und Bürgerinnen aus.

Neben weiteren Freunden Freier Software meldeten sich auch Mechtilde und Rainer zu dieser Veranstaltung an, die dann dort im FSFE-Hoodie mit deutlich sichtbarem Fellowshiplogo erschienen, während der Chronist sein “Plussie” am Revers seines Jacketts befestigt hatte.

Die Veranstaltung begann dann nach dem Check-in und der Möglichkeit, ein Frühstück zu sich zu nehmen, um 09:15 Uhr im gut gefüllten Plenarsaal des Landtages. Insgesamt sollen 500 Teilnehmer zu der Veranstaltung zugelassen worden sein und der Eindruck war, dass wohl nicht viele fehlten.

Was bei dem Auftakt-Plenum die Offiziellen sagten, kann an anderer Stelle nachgelesen werden. Auch Heise hat berichtet. Es war wohl unvermeidlich, dass die Ministerpräsidentin auch Willy Brandts Motto “Mehr Demokratie wagen!” anführte.

An der lebhaften Auftaktsdiskussion nahmen auch Frau Geraldine de Bastion und die Landtagabgeordeten Matthi Bolte und Frank Hermann teil, sodass der Chronist die beiden Erstgenannten identifizieren und alle drei anschließend auftragsgemäß vom Deutschlandkoordinator der FSFE, Matthias Kirschner, grüßen konnte.

Sowohl bei der Auftaktsdiskussion als auch bei der Schlussdiskussion betonten die Vertreter der Netzcommunity, beispielsweise Frau Geraldine de Bastion, dass OpenData und Partizipation über das Internet unvereinbar mit den “Drosselkom”-Plänen sind, was lebhaften Beifall hervorrief. Interessant war ein Statement, wonach der Livestream aus Ausschüssen und Fraktionssitzungen bisher am fehlenden Equipment des Landtages scheitert. Für die Überwachung der Bürger fehlt es an Ressourcen nicht, wohl aber an Ressourcen für die Kontrolle der Arbeit des Landtages durch den Souverän.

Im ersten “Slot” besuchte der Chronist die Vorträge und die Diskussion zum Thema “Open NRW: Prämissen, Ziele, Geschäftsprozesse”. Er regt in der Diskussion u.a. an, auch die im Rahmen der geplanten Evaluation von “Open NRW” erhobenen Daten dem Bürger zugänglich zu machen, damit sich dieser ein eigenes Bild machen und nicht nur den wohlabgestimmten Bericht der Landesregierung zur Kenntnis nehmen kann.

Dann war es nach kurzer Pause soweit: Der Chronist musste seinen Vortrag halten. Der Fraktionssaal der Piraten, in dem diese Session veranstaltet wurde, war gut gefüllt und zwar etwa zur Hälfte mit “den üblichen Verdächtigen” und zur anderen Hälfte mit “Schlipsträgern”. Neben dem Landtagabgeordeten Matthi Bolte konnte der Chronist auch Mitglieder der Piratenfraktion im Teilnehmerkreis identifizieren. Ein Piraten-MdL sorgte sogar – mit eigenem Equipment – für die Aufzeichnung der Vorträge.

Der Chronist weigerte sich natürlich, seine Präsentation auf dem vom Landtag gestellten Rechner, auf dem ein proprietäres Betriebssystem lief, zu halten, was die Landtagstechnik aud den Plan rief, die allerdings vom Chronisten nicht gebraucht wurde, da er inzwischen das VGA-Kabel identifiziert, an seinen Laptop umgesteckt und eine passable Auflösung eingestellt hatte.

Im seinem Vortrag begründet der Chronist die Forderung nach Verwendung Offener Standards für “OpenData”, nachdem er dargelegte hatte, was Offene Standards sind und welche Vorteile sie für den Nutzer haben. Auch plädierte er auf der Grundlage der Erfahrungen, die mit Lizenzen Freier Software gemacht wurden, für die Verwendung auch international wohlbekannter “Standard”-Lizenzen für die Veröffentlichung von Daten und gegen die Schaffung neuer weiterer Lizenzen für diesen Zweck.

Nach dem Chronisten hielt Mateusz Pomietlo vom CCC seinen Vortrag zum Thema “Intelligenter Umgang mit großen Datenmengen”. Beide Vorträge wurden vom Publikum gut aufgenommen. In der anschließenden Diskussion ergab sich Zustimmung für die vorgetragenen Anliegen. Einem Vertreter der Kommunen konnte der Chronist anhand einer Anekdote erklären, dass eine transparente Zusammenarbeit zwischen Kommune und Bürgern durchaus Gegenwerte für die Kosten der Veröffentlichung von Daten schaffen kann.

In der anschließenden Mittagspause gab es “landestypische” Speisen, nämlich Currywurst und Kartoffelsuppe.

Im dritten Slot besuchte der Chronist die Veranstaltung zum Thema “Alles offen? Transparenz vs. Vertraulichkeit”.

Nach den Eingangsstatements wurde der Teilnehmerkreis in mehrere Gruppen aufgeteilt. Der Chronist schloss sich der Gruppe an, die von Frau Maria Schröder geleitet wurde. Hier ergab sich eine interessante Konstellation: in dieser Runde waren nämlich auch ein bediensteter Datenschützer, ein Bediensteter der Umweltbehörde, sowie eine Bedienstete aus dem Landesarchiv. Die Person aus der Umweltbehörde konnte erklären, dass vieles, was hier diskutiert wurde, dort aufgrund gesetzlicher Regelungen längst Praxis ist. Dies gilt auch für die Verwendung von Standards. Er hatte auch keine Bedenken, Geodaten kostenlos zu Verfügung zu stellen, und berichtet von einer guten Kooperation bei der Erhebung der Daten zwischen Behörde und engagierten Bürgern.

Danach gab es Kaffee und Kuchen.

Bei der Schlussveranstaltung war der Plenarsaal dann deutlich leerer als am Morgen.

Anschließend konnten noch einige Teilnehmende der Veranstaltung, u.a. Geraldine, bewegt werden, mit ins Chaosdorf zu kommen. Dort erhielten sie einen Eindruck von der Arbeit in diesem Hackerspace.

Natürlich ist es unmöglich an dieser Stelle alle Eindrücke von dieser Veranstaltung wiederzugeben. Noch unmöglicher ist es, ein umfassendes Bild dieser Veranstaltung, die sechs parallele Vortrags- und Diskussionsstränge hatte, zu geben.

Zwei Eindrücke verdienen es dennoch, kurz geschildert zu werden: In verfassungsrechtlicher Hinsicht war der Dualismus zwischen Bürgern und Verwaltung bzw. Bürgern und Regierung bemerkenswert, von dem vor allem Vertreter von Regierung und Verwaltung ausgingen. Nun ist das Volk aber in der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Staates der Souverän (s. Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes: “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.”) Das Volk als Kollegialorgan der Bürgerinnen und Bürger hat daher die Pflicht, diejenigen Bürgerinnen und Bürger, denen notwendigerweise im staatlichen Rahmen Macht (“Staatsgewalt”) übertragen wurde, zu kontrollieren. Hierzu sind ihm grundsätzlich alle Informationen und Daten, die auch den Behörden und der Regierung sowie dem Parlament zur Verfügung stehen, ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Ausnahmen bedürfen der Rechtfertigung. Ebensowenig ist ein Interpretations- oder Auswertungsmonopol der Regierung oder Verwaltung in Bezug auf die erhobenen Daten hinnehmbar. Es sollte meiner Ansicht sogar vornehmste Pflicht der Bürgerinnen und Bürger “im Amte” sein, ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger umfassend und möglichst barrierefrei über ihr Handeln in Ausübung der vom Volke ausgehenden Staatsgewalt zu informieren und ihnen grundsätzlich alle Daten zur Verfügung zu stellen, um diesen eine eigenständige Kontrolle zu ermöglichen. Dies gilt erst recht dann, wenn man deren Mitarbeit zum gemeinen Wohle erwartet bzw. fördern möchte. Leider bestimmen diese fundamentalen demokratischen Grundsätze noch nicht überall das Verhalten von Verwaltung, Regierung und Parlament.

Der zweite Eindruck ging von einer Beobachtung eines Zusammenstoßes von Kulturen aus (Stichwort: Katzenposts zu #opennrw bzw. #opennrw2013). Nachzudenken ist darüber, ob und inwieweit man sich, wenn man sich in die digitale Sphäre begibt, über die dortigen kulturellen Eigenheiten zu informieren und diese grundsätzlich auch zu respektieren hat. Andererseits muss man natürlich auch darüber nachdenken, wie freundlich und respektvoll die digitalen Eingeborenen Immigranten entgegentreten haben, deren kulturelle Prägung offensichtlich eine ganz andere ist.