FSFE supporters Vienna


Archive for September, 2016

Redlichkeit am Computer

Saturday, September 3rd, 2016

Ich stoße immer wieder auf Leute, die belächeln, dass ich mich für Freie Software einsetze. Sie halten mein Engagement für unangebracht weil die Auswahl von Software aus ihrer Sicht eine reine Privatfrage ist. Wieso sollte es andere etwas angehen, welche Software sie persönlich benutzen, so lange sie keine Gesetze dabei brechen? Wieso verspüre ich überhaupt einen Antrieb ihnen ihren hübschen neuen Mac schlecht zu reden? Es schadet doch anscheinend niemandem wenn sie sich diesen harmlosen Luxus eines polierten Systems leisten, damit sie sich im Alltag nicht mit Dingen beschäftigen müssen, die ihnen lästig sind.

Das wirkt leider nur sehr oberflächlich betrachtet einleuchtend. Bloß weil unsere Handlungen vielleicht oft keine direkt sichtbaren Effekte haben, können wir noch nicht davon ausgehen, dass sie tatsächlich keine relevanten Folgen für andere haben. Rassistische Äußerungen, verändern beispielsweise auch erst mal nichts direkt. Aber sie unterstützten eine Dynamik, die problematische Auswirkungen hat und bestärkt jene, die andere auf Grund von sachlich irrelevanten Merkmalen verschieden behandeln. Respektlose Umgangsformen fördern Diskriminierung.

Ob wir uns für proprietäre oder Freie Software entscheiden, hat im Gegensatz dazu sogar direkt weitreichende gesellschaftliche Folgen. Persönliche Vorlieben sind sicher bei der Wahl von konkreten Alternativen mit den selben Grundvoraussetzungen bestimmend, aber eben nicht bei der Frage ob es proprietäre oder Freie Software sein soll, denn diese Wahl bestimmt nämlich noch deutlich mehr als nur unsere persönlichen Routinen.

Nur die Softwarewahl einer komplett isoliert arbeitenden Person wäre für andere bedeutungslos. Weil wir mit anderen interagieren, machen wir unsere Behinderungen durch proprietäre Produkte zu Einschränkungen der gesamten mit uns verbundenen Gemeinschaft. Beschränkungen behindern alle mit einander interagierenden Menschen. Da sich Gruppen auf gemeinsame Standards einigen müssen, um ihre Zusammenarbeit praktisch realisieren können, limitieren die Systeme mit den größten Einschränkungen die gemeinsam nutzbare Basis. Eine Kette ist eben nur so stark, wie ihr schwächstes Glied.

Selbst wenn in einer Gruppe nur eine einzige Person ein nicht offenes Dateiformat verwendet, müssen auch alle anderen auf das damit verbundene proprietäre Programm wechseln. Diesen Umstand nutzt proprietäre Software aus. Die einzige Begründung jemals ein geheimes Dateiformat zu nutzen liegt in der Absicht, dass Dateien ausschließlich mit dem damit verbundenen Programm bearbeitbar sein sollen. Wenn das eigene Programm das einzige ist, dass die erstellten Dateien interpretieren kann, dann ist das eine eingebaute Garantie, dass niemand auf Alternativen ausweichen kann, sobald irgendeine Person in einer Gruppe das jeweilige Format bzw. Programm benutzt hat. Wenn also nicht alle das spezifische proprietäre Programm verwenden, ist eine effektive Zusammenarbeit unmöglich.

Leider wissen die meisten Leute nicht genug über Computer um überhaupt zwischen freien und geschlossenen Dateiformaten (und Protokollen) unterscheiden zu können, denn in der Regel können proprietäre Programme auch offene Standards lesen und schreiben während es freien Programmen rechtlich verboten ist und auch technisch gezielt schwer gemacht wird, die geheimen proprietären Formate zu interpretieren. Damit bieten proprietäre Programme auf den ersten Blick zwar mehr Möglichkeiten, aber diese größere Auswahl proprietärer Programme ist lediglich eine Scheinwahl, denn sie bietet unterm Strich nicht mehr sinnvolle Lösungen als vergleichbare freie Alternativen. Unfreie Programme bieten nur neben vernünftigen Optionen als Vorauswahl noch Fallen, die uns im Dienste einer unlauteren Bereicherung der anbietenden Unternehmen gegenseitig behindern. Die offenen Dateiformate sind in proprietären Programmen absichtlich nicht voreingestellt. Wir müssen sie beim Speichern erst explizit auswählen, wenn wir andere nicht sinnlos beschränken wollen.
Für uns gibt es jedenfalls keinen vernünftigen Grund überhaupt jemals ein geheimes Dateiformat zu verwenden, wenn auch offene Alternativen verfügbar sind. Wer nicht achtsam ist, erstellt in proprietären Programmen allerdings automatisch unfreie Dateien. Wenn es uns nicht gezielt darum geht anderen über von uns erstellte Dateien das Leben schwer zu machen, gibt es keine vernünftigen Gründe Dateien in proprietären Formaten anzulegen. Im besten Fall ist es sinnlos (und umständlich) proprietäre Programme einzusetzen um damit offene Dateien zu erstellen. Meistens ist es aber leider sogar schädlich weil eben die behindernden Formate darin automatisch verwendet werden. Das bringt die meisten Menschen dazu unbewusst unfreie Dateien zu erzeugen – bloß weil sie sich nicht mehr als unbedingt nötig mit Computern befassen wollen.

Eines der Hauptprobleme ist diesbezüglich, dass derzeit die großen Softwareschmieden die Unternehmen, die Hardware verkaufen, vertraglich exklusiv binden. Es ist nur unter Mühen möglich funktionstüchtig vorkonfigurierte Systeme mit Freier Software zu kaufen. Weil die meisten Menschen durchschnittliche Anforderungen haben und sich nicht mit der Administration ihrer Werkzeuge befassen wollen, verwenden fast alle die vorinstallierten unfreien Systeme. Selbst wenn sie damit nicht weniger Schwierigkeiten als mit alternativen Systemen haben, können sie so zumindest vielleicht lange genug der unliebsamen Wartung ihrer Computer entgehen, bis sie sich einen Ersatz besorgen. Die meisten Menschen arbeiten ohnehin mit viel zu teurer Hardware, deren Kapazität weit über ihrem Anforderungsprofil liegt. Einerseits weil sie von Anfang an viel zu mächtige Hardware kaufen und andererseits weil sie einwandfreie Hardware viel zu schnell ersetzen bloß weil die vorinstallierte Software bald Probleme bereitet und sie lieber gleich ein neues Gerät kaufen als ihre bisherige Ausstattung in Ordnung bringen zu lassen.

Es ist jedenfalls eine ziemlich wahnwitzige Idee ein nur eingeschränkt funktionierendes proprietäres Programm zu kaufen (oder zu leasen) obwohl es für die selben Aufgaben auch freie Alternativen gibt, die gar keine solchen Beschränkungen haben können.

Die meisten unter uns sind es gewöhnt Aufpreise für Funktionen zu bezahlen, die technisch sowieso gegeben wären, wenn die jeweiligen Unternehmen sie nicht aktiv beschränkt hätten, damit sie über eine Freigabe zusätzliche Einnahmen erzielen können. Darüber hinaus ist es asozial ein System mit zu tragen, das Möglichkeiten von der jeweiligen Kaufkraft abhängig macht.

Manche Firmen treiben das Spiel mit Beschränkungen und Gebühren in den letzten Jahren immer weiter. Teilweise nimmt das derart absurde Ausmaße an, dass sogar eingefleischte Fans der Produkte dieser Firmen das Spiel satt haben und beginnen Alternativen einzusetzen. Sie fühlen sich – zu Recht – ausgenutzt. Tragisch, dass beispielsweise Apple in den letzten Jahren trotz einer derartigen Politik Marktanteile dazu gewinnen konnte. Besonders befremdlich ist der Umschwung zu Apple vor allem in Kreisen, die sich sozial engagieren. Das Thema Softwareethik ist offensichtlich nicht bis zu ihnen durchgedrungen. Werbebudgets und hübsche Verpackungen kommen bei großteils unkundigen Leuten besser an als echte funktionale Vorteile. Aber das ist in einer Gesellschaft, in der Konsum und wirtschaftlicher Erfolg wichtiger als partizipative Ermächtigung und Gerechtigkeit sind, auch nicht erstaunlich.

Ein (vielleicht hübsches) Werkzeug, das uns gezielt behindert, ist kein brauchbarer Ersatz für ein funktionales Werkzeug, das uns alle technisch machbaren Handlungsoptionen gibt. Menschen, die sich mit Technik befassen, unterschätzen oft wie sehr die meisten Leute vor technischen Hürden zurück schrecken. Weil die Vorstellung ein System verstehen und in Ordnung bringen zu müssen, so abstoßend ist, sind viele bereit selbst die wahnwitzigsten Bedingungen zu akzeptieren, bloß um sich nicht näher mit Computern befassen zu müssen. Alles, was verspricht wartungsfrei einfach zu funktionieren, ist attraktiver als alles, was irgendeinen persönlichen Einsatz erfordert. Ganz egal wie verrückt die damit verknüpften Bedingungen und Kosten auch sein mögen.

Ich arbeite seit vielen Jahren zu Testzwecken immer wieder mit allen drei großen Plattformen und deswegen kann ich aus Erfahrung sagen, dass alle Ärgernisse verursachen. Die wesentlichen Behinderungen bei Microsoft und Apple sind aber Absicht. Deswegen besteht keine Hoffnung, dass sie jeweils behoben werden. Sie sind Teil des Grundkonzepts und werden sogar größer.

Bei Freier Software resultieren die häufigsten Probleme aus dem Umstand, dass Firmen sie ignorieren oder sogar gezielt behindern. Aber je mehr Menschen Freie Software einsetzen, umso reibungsloser funktioniert sie im Alltag. Bei den proprietären Programmen ist es genau umgekehrt: Je mehr sie benutzen, umso lückenloser können ihre Einschränkungen erzwungen werden. Wenn ein unfreies Produkt volle Marktdurchdringung hat, dann kann es uns trotz der Einforderung von grotesken Gebühren beliebig beschränken. Dann kann sich nämlich niemand mehr dem Monopol entziehen.

Geschlossene Formate zwingen zur Profitmaximierung Leuten die Nutzung bestimmter, absichtlich und unnötig beschränkter Programme auf. Das stört unser Ziel mit möglichst praktischen technischen Lösungen unser Leben zu erleichtern. Wenn wir die Optimierung von Software als Dienstleistung betrachten und Programme nicht als verkäufliche Produkte akzeptieren, können überall die besten Lösungen eingesetzt werden und wir können sie unsern jeweiligen Anforderungen beliebig anpassen (lassen).

Wir steigen wesentlich besser aus wenn wir kundige Leute für die Entwicklung neuer Funktionen bezahlen als wenn wir endlose Lizenzgebühren an Instanzen entrichten, denen unsere Anforderungen egal sind und die als einziges Ziel ihre Profitmaximierung verfolgen.

Es ist destruktiv eine Vorgehensweise zu unterstützen, die davon abhängt bestehende Lösungen zurückzuhalten. Wir sollten unsere Energie stattdessen in Projekte investieren, für die es noch keine Lösungen gibt.

Alle Softwareangebote, die nicht frei geteilt und weiterentwickelt werden können, sind aus meiner Sicht daher eine inakzeptable gesellschaftliche Behinderung, die wir nicht annehmen dürfen, wenn wir in einer fairen, konstruktiven Gemeinschaft leben wollen.

Alle, die proprietäre Software einsetzen, schaden der Allgemeinheit indem sie dazu beitragen, dass unser Gemeinwohl auch weiterhin absichtlich einem rücksichtslosen Profitstreben geopfert wird.